UniSpiegel, Universität Heidelberg, Dezember 2007
Neue Zürcher Zeitung, 19. November 2007
Rhein-Neckar-Zeitung, 10. April 2007
Information zu „Die Spur der Endlichkeit. Meine akademischen Lehrer. Vier Porträts“
Mit diesem Beitrag zur Geschichte der Geisteswissenschaften der Universität Heidelberg rückt der Verfasser seine akademischen Lehrer in den Zusammenhang seines eigenen wissenschaftlichen Werdegangs:
Dmitrij Tschižewskij (1894 - 1977), Hans- Georg Gadamer (1900 - 2002), René Wellek (1903 - 1995), Paul Fussell (geb. 1924). Alle vier Porträts gehorchen dem gleichen Schema. Auf ein Foto folgt das
wissenschaftliche Profil mit jeweils eingebrachter Kurzbiografie. Also vier Kapitel: Danach werden in einem gesonderten Kapitel Anekdoten referiert, in denen sich der Verfasser auch selber zu Wort
kommen lässt, um klar zu machen, wie er wurde, was er ist. Die Einführung verdeutlicht, dass sich ihm die Horizonte seiner vier Lehrer zu den Elementen seiner Eigenständigkeit formierten: Russische
Literatur, Philosophie, Literaturtheorie, amerikanische Literatur. Die Spur der Endlichkeit ist eine streng durchkomponierte Erzählung mit einem unverkennbar persönlichen Tonfall. In einem „Anhang"
wird zu jedem der vier Portraits ein Schriftenverzeichnis geliefert, das dem Leser den Einstieg in vier individuelle geisteswissenschaftliche Denkräume ermöglicht.
Mehrere rote Fäden durchziehen die Darstellung. Alle vier Lebensläufe sind durch die weltgeschichtlichen Begebenheiten der ersten Hälfe des 20. Jahrhunderts traumatisiert worden, und doch hat jedes
Mal der Geist als Widersacher des Tagesgeschehens Literatur und Philosophie als Lebensinhalt triumphieren lassen. Als weiteres Leitmotiv ist das Plädoyer des Verfassers für die Aktualität der
Kunstphilosophie Schopenhauers zu nennen - und das gegen Tschižewskij und Gadamer. Auf wieder andre Weise durchgängig ist der Bezug auf Dostojewskij, den Meister aus Russland, zu dem sich alle vier
Denker in unterschiedlichster Orientierung bekennen. Die vier Porträts bilden ein internationales Spektrum, das in den persönlichen Begegnungen des Verfassers sein Zentrum in Heidelberg findet. So
wurde mit Paul Fussells Fulbright- Jahr 1957/58 die Amerikanistik in Heidelberg eingeführt. Überraschend die Erinnerung René Welleks, er habe sich 1923 als zwanzigjähriger Student in Heidelberg für
Germanistik einschreiben wollen, sei aber von der diktatorischen Wesensart Friedrich Gundolfs so abgestoßen worden, dass er nach Prag zurückging, um dort das Fach zu wechseln und bei Vilém Mathesius
Englische Literatur zu studieren.
Als Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte ist die vorliegende Abhandlung sowohl für die Slawistik und die Philosophie, als auch für die Vergleichende Literaturwissenschaft und Amerikanistik von
Interesse.
Horst-Jürgen Gerigk: Die Spur der Endlichkeit. Meine akademischen Lehrer. Vier Porträts. Dmitrij Tschižewskij, Hans-Georg Gadamer, René Wellek, Paul Fussell. Heidelberg (Winter) 2007 (= Beiträge zur
Philosophie. Neue Folge). 101 Seiten. 16,- €. ISBN 978 – 3 – 8253 – 5335 – 3
UniSpiegel, Universität Heidelberg,
Dezember 5 / 2007, 39. Jahrgang, Seite 7
Als Gundolf Wellek abschreckte
Der Slawist Horst-Jürgen Gerigk erinnert sich an seine akademischen Lehrer
Einen autobiographisch gefärbten Beitrag zur Geschichte der Geisteswissenschaften in Heidelberg hat der Slawistik-Professor Horst-Jürgen Gerigk mit seinem Buch „Die Spur der Endlichkeit“ vorgelegt.
Es handelt von seinen akademischen Lehrern: Dimitrij Tschižewskij, Hans-Georg Gadamer, René Wellek und Paul Fussell.
Gerigk hat vor allem die intellektuelle Biographie und das Werk dieser vier bedeutenden Wissenschaftler im Blick, die in unterschiedlicher Weise seinen eigenen akademischen Werdegang geprägt haben.
Insofern kommt natürlich auch die intellektuelle Biographie von Horst-Jürgen Gerigk – mal ganz explizit, dann wieder versteckt - zur Sprache. Auch Anekdotisches wird nicht ausgespart, so etwa über
den tschechisch-amerikanischen Literaturwissenschaftler René Wellek, der sich in den 1920er Jahren als Heidelberger Student durch Friedrich Gundolf vom Germanistik-Studium abschrecken ließ.
Horst-Jürgen Gerigk, Die Spur der Endlichkeit. Meine akademischen Lehrer. Vier Porträts. Dmitrij Tschižewski, Hans-Georg Gadamer, René Wellek, Paul Fussell. Heidelberg: Universitätsverlag Winter
2007.
Neue Zürcher Zeitung, 19. November 2007, S. 26
Literatur als Beruf und Berufung
U. Sm. Der Heidelberger Komparatist Horst-Jürgen Gerigk hat sich durch eine ebenso eigenwillige wie originelle Literaturtheorie einen Namen gemacht. Gerigk insistiert auf der
Kommentar-Unbedürftigkeit des Kunstwerks: Jeder Text führt die Grundbedingungen seiner Verstehbarkeit bereits mit sich. Die Aufgabe der Literaturwissenschaft besteht mithin nicht in der
kulturhistorischen Kommentierung von Texten, sondern in der Darstellung ihres ästhetischen Eigenwerts. Horst-Jürgen Gerigks neustes Buch ist ein Dank an vier herausragende Literaturwissenschafter,
die seine eigene Arbeit nachhaltig beeinflusst haben. Der Slawist Dmitri Tschizewskij trat für einen Mittelweg zwischen Strukturanalyse und Berücksichtigung der Lebenswelt des Autors ein. Der
Philosoph Hans-Georg Gadamer verfocht mit Vehemenz den Gedanken, dass Wahrheit sich nicht durch irgendeine Methode herbeizwingen lasse und dass die Interpretation letztlich nicht eine Wissenschaft,
sondern eine Kunst sei. René Wellek plädierte für eine Entgrenzung der Nationalliteraturen: Stilkonzepte waren für ihn nur von einem übergeordneten, komparatistischen Standpunkt aus erfassbar. Paul
Fussell schliesslich definierte den Ort der modernen amerikanischen Literatur in der Weltliteratur. Gerigks ureigene Leistung besteht in der Kombination und Weiterentwicklung zentraler Gedanken
seiner akademischen Lehrer. Besonders interessiert ihn die unmittelbare Schau des Kunstwerks, wie sie etwa von Arthur Schopenhauer propagiert wurde. Damit gewinnt Gerigk seiner Literaturtheorie eine
utopische Pointe ab, die sich schliesslich auch gegen das theoretische Zerreden des Kunstwerks wendet.
Horst-Jürgen Gerigk: Die Spur der Endlichkeit. Meine akademischen Lehrer. Vier Porträts. Dmitrij Tschizewskij, Hans-Georg Gadamer, René Wellek, Paul Fussell. Universitätsverlag Winter, Heidelberg
2007. 102 S., Fr. 28.60
Rhein-Neckar-Zeitung, Heidelberg, 10. April 2007
Er verachtet auch die Anekdote nicht
Horst-Jürgen Gerigk erinnert in vier Porträts an seine akademischen Lehrer – Ein Beitrag zur Heidelberger Geistesgeschichte
Von Heide Seele
Die Anschaulichkeit seines Schreibens wird hier erneut unter Beweis gestellt, denn der publikationsfreudige Slawistik-Professor an der Ruperto Carola ist dafür bekannt, selbst komplexe Zusammenhänge
erfrischend lebendig ausbreiten zu können, und dies vor einem weiten geistigen Horizont. Horst-Jürgen Gerigk ist nicht nur in der russischen Literatur zu Hause, sondern auch eng verbunden mit den
Autoren der Vereinigten Staaten.
Wer das Schriftenverzeichnis des 1937 geborenen Berliners liest, muss einige Zeit investieren. Zahlreiche seiner Bücher haben wir in der RNZ rezensiert wie zum Beispiel „Unterwegs zur
Interpretation", „Lesen und Interpretieren" oder „Die Russen in Amerika". In der Tat haben nicht nur Dostojewski - Gerigk war von 1998 bis 2004 Präsident der Internationalen Dostojewski-Gesellschaft,
die er 1971 in Bad Ems mitbegründete -, sondern auch Tolstoi, Turgenjew (Hemingway) oder Tschechow (Joyce Carol Oates) Amerikas Dichter inspiriert. In zahlreichen Studien ist der seit 1974 an der
Universität Heidelberg wirkende Professor für Russische Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft diesen fruchtbaren Wechselbeziehungen auf der Spur.
Der komparatistische Ansatz ist Gerigk, der auch deutsche (Gegenwarts-) Dichter in seine Untersuchungen miteinbezieht, in Fleisch und Blut übergegangen. Er sieht ein Werk der Literatur nie losgelöst,
sondern bettet es stets in seinen geisteswissenschaftlichen Kontext ein. Diese Methode fördert auch beim Rezipienten die Weite des Blicks, wenn der Forscher beispielsweise dem Phänomen „Die Kindfrau
als Archetypus" anhand von Salome und Lolita nachgeht, seine Ikonologie des nackten Mannes am Beispiel von Tarzan und heiligem Sebastian festmacht oder in der Festgabe zu Reinhard Düchtings 65.
Geburtstag Wyatt Earp und Doc Holliday als Exemplar für „Amicitia im Wilden Westen" wählt.
Über den Hollywood-Film der goldenen Fünfziger kann man sich mit Gerigk - ihm begegnen wir regelmäßig auf seinem Weg von Neuenheim in die Uni - trefflich austauschen. Er hat die bahnbrechenden Filme
seinerzeit alle gesehen, angefangen bei „High Noon" über Elia Kazans „Die Faust im Nacken", „Endstation Sehnsucht", „Jenseits von Eden" mit dem jungen James Dean, „Die Caine war ihr Schicksal" oder
„Verdammt in alle Ewigkeit". Diese Filme haben ihn geprägt, auch im Hinblick auf seine literaturwissenschaftliche Profession.
Einige Reminiszenzen an die cineastischen Erfahrungen seiner jungen Jahre finden sich auch in Horst-Jürgen Gerigks jüngster Veröffentlichung „Die Spur der Endlichkeit", in der er an seine
akademischen Lehrer erinnert. Dies auf so plastische Weise, dass auch derjenige eine lebhafte Vorstellung von den Eigenarten der vier Persönlichkeiten erhalten mag, der ihnen nicht leibhaftig
begegnete, denn ihr Schüler verachtet auch die Anekdote nicht, gehört sie doch zur lebensvollen Charakterisierung eines Individuums dazu.
Der Wissenschaftler schildert Vita und Werk der vier Denker im Zusammenhang mit seinem eigenen universitären Werdegang, denn sie haben ihn entscheidend geprägt und in den Heidelberger
Geisteswissenschaften ihre Spuren hinterlassen, sei es sein Doktorvater Dmitrij Tschižewski (1894-1977), der Philosoph Hans-Georg Gadamer (1900-2002), der Literaturwissenschaftler René Wellek
(1903-1995), der gemeinsam mit seinem amerikanischen Kollegen Austin Warren ein Standardwerk der Literaturwissenschaft schrieb („Theory of Literature") und Paul Fussell, der, 1924 geboren, in seinem
Fulbright-Jahr 1957/58 Gerigk zufolge in Heidelberg die Amerikanistik begründete.
Zu allen vier Personen, deren Lebensläufe stark von der Weltpolitik des 20. Jahrhunderts bestimmt waren, hatte der Gelehrte ein freundschaftliches Verhältnis, und darüber hinaus weiß er auch durchaus
Spektakuläres zu berichten. So hatte sich der Österreicher René Wellek als 20-jähriger Student in Heidelberg, abgestoßen von Gundolfs selbstherrlichem Gehabe, 1923 entschlossen, sein
Germanistikstudium abzubrechen und lieber in Prag bei Vilem Mathesius Englische Literatur zu studieren, und Horst-Jürgen Gerigk erwähnt auch die Tatsache, dass sich noch 1952 in der Großen
Sowjetischen Enzyklopädie der Eintrag fand, die Universität Heidelberg werde von den „Besatzern" zur Vorbereitung eines neuen Weltkriegs benutzt.
So geht es in vorliegender Studie also nicht um die Wissenschaft allein, sondern auch um Implikationen, die weit in politisch-gesellschaftliche Bereiche vordringen.
Info: Horst-Jürgen Gerigk: „Die Spur der Endlichkeit. Meine akademischen Lehrer. Vier Porträts. Dmitrij Tschižewski, Hans-Georg Gadamer, René Wellek, Paul Fussell".
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2007. 100 S., 16 Euro.